Die Grille und die Ameise

Die Grille hat den Sommer lang
gesungen und gesungen.
Doch als der harte Winter kam
da ging sie notgedrungen
zur Nachbarin der Emse hin
und sprach: "Ich leide Not,
Frau Nachbarin ihr seid reich,
leiht mir ein wenig Brot.
Mein Ehrenwort, ein kleines Stück
bis in das nächste Jahr,
dann gebe ich es euch zurück,
mit Zinseszins sogar."
Die Emse drauf zur Grille sprach:
"Was hast du denn gemacht
als ich im Sommer mich geplagt
am Tag bis in die Nacht?"
"Frau Nachbarin ich sang so schön,
das liebten alle Leute."
"Die Zeit verjubelt habt ihr nur?
Wohl an, dann tanz doch heute!"


© Ralf Schauerhammer


Original
La Cigale et la Fourmi

La Cigale, ayant chanté
Tout l’été,
Se trouva fort dépourvue
Quand la bise fut venue :
Pas un seul petit morceau
De mouche ou de vermisseau.
Elle alla crier famine
Chez la Fourmi sa voisine,
La priant de lui prêter
Quelque grain pour subsister
Jusqu’à la saison nouvelle.
"Je vous paierai, lui dit-elle,
Avant l’Oût, foi d’animal,
Intérêt et principal."
La Fourmi n’est pas prêteuse :
C’est là son moindre défaut.
"Que faisiez-vous au temps chaud ?
Dit-elle à cette emprunteuse.
— Nuit et jour à tout venant
Je chantais, ne vous déplaise.
— Vous chantiez ? j’en suis fort aise.
Eh bien! dansez maintenant."



Auch hier habe ich eine Version, die wohl aus Brasilien stammt, mit einer schönen Wendung gefunden, die ich gekürzt anfüge.

A Cigarra e a Formiga – Die Zikade und die Ameise

Es war einmal eine Zikade, die tat nichts anderes, als tanzend und singend durch den Wald zu springen, ohne sich um ihre Zukunft zu sorgen. Als sie eine Ameise traf, die ein schweres Blatt hinter sich herschleppte, fragte sie dieselbe:"He, kleine Ameise, für was die ganze Arbeit? Den Sommer muss man genießen! Er ist zu unserem Vergnügen da”! "Nein, nein, nein! Wir Ameisen haben keine Zeit, uns zu vergnügen. Wir müssen jetzt arbeiten, um Lebensmittel für den Winter heranzuschaffen"!

Die Zikade kümmerte das nicht weiter, sondern sie fuhr fort, sich zu vergnügen und im ganzen Wald herumzuspazieren. Wenn sie Hunger hatte, gab es überall frische Blätter... Und dann, eines Tages, war der Winter da. Und die Zikade fing an zu frieren. Sie fühlte, wie ihr Körper auskühlte und hatte nichts zu essen. Verzweifelt klopfte sie schließlich an der Tür der Ameise an – und als die ihre einst so lebenslustige Freundin zitternd vor Kälte vor sich sah, ließ sie sie ein, packte sie in Decken und brachte ihr eine heiße Suppe, um sie aufzuwärmen. Die Ameisenkönigin erschien und sprach:

"In der Welt der Ameisen müssen alle arbeiten zum Wohlergehen des Volkes – wenn du bei uns bleiben willst, dann leiste deinen Beitrag: Spiele und singe für uns"!

Und so blieb die Zikade im Ameisenstaat solange der Winter dauerte und wurde für ihre Unterhaltung von ihren Freunden versorgt. Für die Zikade und für die Ameisen war dies der glücklichste Winter ihres Lebens.