Poetische Berührung

Fereshteh Vaziri Nasab
Fereshteh Vaziri Nasab

Kontakt zu den Dichterpflänzchen 2018
Fereshteh, so dürfen die Dichterpflänzchen, Frau Vaziri Nasab nennen, nahm im Jahr 2018 an der poetischen Reise „In 80 Versen um die Welt“ teil, zu der wir anlässlich unseres 25jährigen Bestehens am 29.09.2018 in den Bürgersaal der Galatea-Anlage in Biebrich eingeladen haben.
Sie führte uns nach Persien:
Die in Frankfurt lebende Theaterregisseurin und Dichterin Fereshteh Vaziri Nasab stellte neben dem modernen iranischen Dichter Akhavan Saless zwei ihrer eigenen Werke vor. Ihre gelungenen deutschen Übertragungen wurden von Martha Schauerhammer rezitiert.

Fereshteh Vaziri Nasab


Danach waren wir mehrfach bei ihren persischen Veranstaltungen in Frankfurt eingebunden.

Fereshteh ist vielseitig tätig. Sie führt Regie, dichtet und übersetzt.

Ihre Gedichte greifen vorallem aktuelle gesellschaftliche Themen auf.

Fereshteh Vaziri Nasab

Die Augenhöhlen

Die Augen tanzten
In den Augenhöhlen
Sie sahen meine Arme
Ausgestreckt zur Unendlichkeit des Himmels
Meine Augen waren sonnig
Deine Hände voller Schatten
Von der Schattenseite her
Zielten tausend Granatapfelkerne immerfort
Auf meine Augen
Auf meinen Mund
Gleichzeitig grinste dein Mund mich an
Voller gelber Perlen.

Die Augäpfel bewegen sich nicht mehr
In meinen Augenhöhlen
Meine Augen sind jetzt wandernde Geister
Am Horizont,
Wo der Mond zur Dunkelheit wechselt
Deine Hände bewegen sich, rot in der Luft
Deine kurdisch tanzenden Füße treten rot auf Kurdistan
Meine Augen
Deine Hände
Mein Herz
Dein Grinsen
Die Füße, die stehen
Die Füße, die gehen
Zu einem Horizont voller Olivenzweige
Mit oder ohne Augen.

Fereshteh Vaziri Nasab

Während der Proteste im Iran wurde vielen Protestierenden (ungefähr 400) aus Flinten mit Gummi- oder Farbmunition direkt in die Augen geschossen. Durch diese unmenschlichen Taten sind viele, insbesondere junge Frauen, erblindet. Eine von ihnen hat berichtet, ein Polizist habe ihr beim Schießen direkt in die Augen geschaut und gegrinst. Diese Erzählung hat mich sehr erschüttert und zu diesem Gedicht inspiriert.

Fereshteh Vaziri Nasab

Dein Gott ist wohlwollend

Du peitschst mich aus, weil:
Dichter durch meine Augen gegangen sind
Philosophen meine Gedanken besucht haben
Maler mein Kleid umblättert haben
Meine Lippen von Wein geküsst wurden
Und meine Haare herausgeschaut haben

Du nimmst mir den Atem, weil:
Ich in einer Kolumne, die nirgendwo hinführt,
Ein paar Zeilen geschrieben habe
Ins Ohr eines Unbekannten
Von einem vieleckigen Prisma geflüstert habe
Oder gedacht habe, mein Körper gehöre mir,
Und ihn mit Lust befleckt habe

Du löschst mich aus, weil:
Ich eine Parole für ein Gedicht gehalten
Und es den Straßen und Gassen übergeben habe
Oder in einen Zug gestiegen bin
Und dort mit Politik geschlafen habe
Weil ich gedacht habe,
dass eine Mutter doch auch eine Frau ist
und die Grenze des Hauses überschreiten darf

Du nimmst mich fest
Du nimmst mich mit Gewalt
Um meine Reinheit zu entfernen
Denn dein Gott nimmt kein reines Opfer an!
Dein Gott ist wohlwollend 

Fereshteh Vaziri Nasab

Die Übersetzungstätigkeit ist für Fereshteh eine wichtige und ernste Aufgabe. Im Ringen um die Übertragung ihrer Metaphern, Bilder und Begriffelichkeiten entwickelt sich eine intensive Zusammenarbeit und ein Verständnis für die jeweils andere Kultur.
Sie ist in den letzten Jahren mehrfach als Regiseurin moderner zeitgenössiger Stücke tätig gewesen; hier eines ihrer Theaterstücke für die Sie auch den Text schreib.

Fereshteh Vaziri Nasab


Die Dichterpflänzchen sind froh darüber, dass Fereshteh in diesem Jahr auch Mitglied im Poesieverein geworden ist. Wir schätzen dies hoch, als Zeichen ihrer Verbundenheit mit unserer Arbeit.

Biografie

Fereshteh Vaziri Nasab (*1959) ist eine iranische Schriftstellerin, Übersetzerin, Literaturkritikerin und Theaterregisseurin. Sie studierte englische Literatur im Iran und arbeitete nach ihrem Masterabschluss mehrere Jahre als Dozentin an verschiedenen Universitäten. Nachdem sie wegen ihrer politischen Ansichten von der Universität verwiesen wurde, verließ sie 2001 den Iran und ging nach Deutschland. In Deutschland schrieb sie ihre Dissertation mit dem Titel Towards Delogocentrism: A Comparative Study of the Dramatic Works of Samuel Beckett, Tom Stoppard and Caryl Churchill und promovierte 2009.

Sie begann ihre künstlerische Karriere 1979 mit einer Rolle in Die Mutter von Bertolt Brecht, aufgeführt an der Pahlavi-Universität in Shiraz. Später nahm sie an mehreren Theaterworkshops teil und spielte in einigen anderen Stücken mit. Neben ihrer Theatertätigkeit hat sie drei Theaterstücke, mehrere Kurzgeschichten und Gedichte aus dem Englischen oder Deutschen ins Persische übersetzt und viele andere Artikel, Kurzgeschichten und Gedichte geschrieben, die in verschiedenen iranischen Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden. Drei Gedichtsammlungen – ihre eigenen und zwei Übersetzungen deutscher Dichter – sowie zwei Theaterstücke, Heimatland war kein Stiefmütterchen und Ein Straßenmusikant aus der Ferne, gehören zu ihren jüngsten Arbeiten. Außerdem hat sie in den letzten Jahren eigene Stücke und zwei weitere Stücke inszeniert, die auf verschiedenen Theaterfestivals und in verschiedenen Städten in Deutschland aufgeführt wurden. Die Inszenierung von Heimat war kein Stiefmütterchen beim Iranischen Theaterfestival in Heidelberg wurde 2014 mit dem Festivalpreis ausgezeichnet.